Redebeitrag zur „Alle Zusammen“-Demo

Wir dokumentieren an dieser Stelle unseren Redebeitrag zur „Alle Zusammen“-Demo am 06.05.2023 in Jena.


ALLE ZUSAMMEN

Wir sind heute in Jena auf der Straße, um ein gemeinsames Zeichen zu setzen. – ein Zeichen gegen die ganze Scheiße: gegen Staat, Nation, Kapital; gegen Nazis, Ausgrenzung, Repression und Patriarchat. – Gegen die Gewalt in unseren Leben und unseren Köpfen.

Unsere Antwort auf diese Gewalt ist unser Kampf gegen sie. Ein Kampf, der nicht nur auf Demos und in Aktionen stattfindet, sondern der für viele vor allem ein alltäglicher Kampf ist. Und meistens sind es viele alltägliche Kämpfe.

Viel zu oft sind wir in diesen Kämpfen isoliert und eben nicht alle zusammen. Unsere Kämpfe zu verbinden, uns einander zu unterstützen und Solidarität aufzubauen, ist die Voraussetzung dafür, die Kämpfe nicht nur zu überleben, sondern der Gewalt der Verhältnisse auch den Kampf anzusagen. D.h. den Kampf zu führen gegen das Kämpfen müssen.

Klar: Da wir alle unter den Verhältnissen leiden, sollten wir auch alle zusammen gegen sie stehen. Doch wer ist alle? Und was, wenn „alle“ gar nicht geht, weil es nie wirklich „alle“ gemeint hat?

Dass das „Alle“ der Einheitsfront seit dem Kapp-Putsch in Deutschland gescheitert ist, hat uns historisch der Faschismus bewiesen. „Alle“ bedeutet hier halt vor allem Deutsche…

Daraus lernen können wir die Notwendigkeit, auch kompromisslos zu sein – gerade, weil der Kampf – insb. angesichts der permanenten Bedrohung durch den Faschismus– so wichtig ist.

Aktuelle Querfront-Bewegungen machen deutlich, wie notwendig eine klare Kante gegen Antisemitismus, Transfeindlichkeit und Antifeminismus ist.

Und dennoch verlieren Losungen wie „Wir sind mehr“ nicht an Beliebtheit, im Umgang mit Reaktionären sucht man doch die Allianz mit der vermeintlich „vernünftigen Mehrheit“ oder hegt vielleicht sogar doch den Wunsch, miteinander ins Gespräch zu kommen. Und immer wieder spukt auch das alte Schreckgespenst der Spaltung.

Wir denken: „Alle zusammen“ heißt manchmal auch notwendigerweise „ohne manche“.

Das hat es schon immer, wenn trans* identen Genoss*innen Räume entzogen werden, wenn migrantische Genoss*innen immer wieder die fehlende Unterstützung anprangern müssen oder wenn Betroffene sexueller Gewalt sich aus Frustration und Enttäuschung zurückziehen.
Viele Menschen können sich auch in der radikalen Linken nicht sicher fühlen oder zumindest sich nicht sicher sein, dass sie Unterstützung für ihre Kämpfe bekommen. Viel zu häufig entstehen neue Kampffelder, die den politischen Kampf zusätzlich erschweren.

Wir können und wollen uns nicht auf eure Solidarität verlassen, wenn wir Tag für Tag erleben, wie weit täterschützende Strukturen reichen, wie mächtig antifeministische Strategien nach wie vor sind und wie wenig Konsequenz an den Tag gelegt wird, wenn es wirklich drauf ankommt.
Unser permanentes Scheitern im Umgang mit der Gewalt in den eigenen Reihen bedeutet für viele Betroffene eine Verlängerung der Gewalt. Für viele weitere Betroffene und potenzielle Betroffene bedeutet es einen massiven Vertrauensverlust.

Dabei ist Vertrauen eines unserer wichtigsten Handwerkzeuge. Im Kampf gegen Nazis und im solidarischen Umgang mit Repressionen müssen wir uns unbedingt aufeinander verlassen können, um überhaupt handlungsfähig zu sein.
Solidarität ist unsere stärkste Waffe und wir schmieden sie auch im alltäglichen Umgang miteinander.

Sexuelle Gewalt, Transfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus sabotieren dies permanent – und eben nicht diejenigen, die dies benennen.
Wenn sich Menschen unser Vertrauen und unsere Solidarität verspielt haben, dann daher, weil es ihnen selbst – uns oder Genoss*innen gegenüber – daran fehlt.

So kommt der Vorwurf der Spaltung – der insbesondere da, wo es um Gewalt geht, an Zynismus nicht zu übertreffen ist – häufig von denen, die sie selbst mit vorantreiben, indem sie ihre Genoss*innen verraten.
Und alle anderen können sich entscheiden: Sind sie Teil des Problems oder wollen sie wirklich gemeinsam kämpfen?

Und dass jeder Verrat eine Bedrohung für uns alle ist, muss uns nach den letzten Monaten klar geworden sein.

Wir können es uns nicht leisten, die ganze Zeit wichtige Teile aus unserem „alle“ zu verlieren; woraus folgt, dass wir manche als Teil dieses „alle“ nicht dulden können.

Schwund ist immer und „alle zusammen“ hat immer Menschen ausgeschlossen. Aber wir können uns aktiv entscheiden. Wir dürfen und sollten wählerisch sein, wenn es darum geht, Verbündete für den Kampf zu suchen.

Antifaschismus muss konsequent sein und das heißt auch: konsequent feministisch.
Das bedeutet manchmal eben auch, nicht mit allen, damit wirkliche alle zusammen kämpfen können.

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