Statement: „Feministisch Wohnen Jetzt!“

Wir dokumentieren an dieser Stelle ein Schreiben von Genoss*innen, das Sexismus in linken Wohnzusammenhängen in Jena problematisiert. Wir begrüßen und unterstützen diese längst hinfällige Debatte.


Für ein feministisches Zusammenleben!

Wir sind verschiedene FLINTA*Personen aus Jena, die sich schon länger kennen und gemeinsam feministisch organisieren. In unserem Umfeld, das überwiegend in der linken Szene Jenas freund*innenschaftlich eingebunden und/oder politisch aktiv ist, spielt patriarchales Verhalten und Gewalt im Wohnumfeld regelmäßig immer wieder eine große Rolle. Gleichzeitig findet das Thema in öffentlichen Diskursen zu wenig Aufmerksamkeit, vor allem in Hinblick auf das(nicht-)Teilen und (nicht-)Zugänglichmachen von Erfahrungen, insbesondere Erfahrungen von FLINTA*Personen mit cis Männern in Bezug auf Zusammenwohnen. Das betrifft nicht nur Erfahrungen aus vermeintlich kleinen „privaten“ Wohngemeinschaften, sondern auch Erfahrungen mit patriarchalen Machtstrukturen in szene-öffentlichen Projekten innerhalb Jenas. Das macht uns unbeschreiblich wütend! Außerdem vermissen wir von den verschiedenen öffentlichen Hausprojekten eine klare Bezugnahme und Solidarisierung in Bezug auf die Thüringer Outcalls.
Wir FLINTA* wissen oft zu wenig voneinander um festzustellen, dass wir zwar unterschiedlich betroffen sind, aber sich immer wieder ähnliche Muster von patriarchalen Verhaltensweisen durch unsere Erfahrungen ziehen. Diese (Gewalt-)Erfahrungen sind nicht „privat“ oder „persönlich“, sondern sind ganz klar strukturell und politisch! Aus dieser Erkenntnis können wir Kraft ziehen,
denn wir sind nicht alleine! Es ist essentiell, endlich offener und gezielter darüber zu sprechen – angefangen hier und jetzt innerhalb der linken Szene Jenas. Darüber hinaus müssen und werden wir FLINTA* uns verstärkt untereinander in jedem Bereich autonom organisieren.
Männlichkeitskritische/Antipatriarchale Arbeit muss überall auf der Tagesordnung stehen. Exklusiv- cis männliche, patriarchale Wohlfühl- und Rückzugsräume müssen aufgebrochen und abgeschafft werden!
Wenn wir über patriarchales Verhalten und Gewalt im Wohnumfeld sprechen, dann meinen wir allgemein: Sexuelle/Sexualisierte Gewalt auszuüben und/oder Täter bei grenzüberschreitendem Verhalten und sexuellen/sexualisierten Übergriffen zu schützen. Häusliche Gewalt. Machtgefälle und Hierarchien gezielt aufrecht zu erhalten und auszunutzen. Keine Übernahme von Reproduktionsarbeit. Abwehr gegenüber Selbstreflexionsprozessen und Kritik. Das fehlende Verständnis oder die Unfähigkeit, gemeinsame Kommunikation in Form von Austausch über verschiedene Bedürfnisse oder emotionale Arbeit für andere leisten zu können und als essentiellen Teil von gemeinsamem Wohnen zu betrachten (wenn dieses Verhalten aufgrund von männlicher Sozialisierung Abgrenzung bedeutet – natürlich setzen wir nicht voraus, dass alle Menschen zu jedem Zeitpunkt und in jeder Wohnsituation die emotionalen und körperlichen Kapazitäten für intensiven emotionalen Austausch haben). Selbstverständlich und unreflektiert oberkörperfrei durch die Bude zu rennen. Dominantes, paternalistisches Redeverhalten. Körperliches Raum einnehmen, welches jede Aufmerksamkeit auf sich ziehen soll. Selbstverständliche Passivität was Hausarbeit/emotionale Arbeit/Sorgearbeit betrifft…
Patriarchale Verhaltensweisen sind alltäglich, omnipräsent, und vor allem strukturell. Sie stehen auch in linken und (vermeintlich pro-)feministischen Wohngemeinschaften und Hausprojekten an der Tagesordnung. Das kann so nicht stehen gelassen werden!
Dieser Text entsteht nicht aus dem Nichts. Wir wollen an dieser Stelle anfangen und ganz konkret Erfahrungen und Kritik von ehemaligen Mitbewohnerinnen des Hausprojekts „Hügelfeste“ in Jena Ost und deren Genossinnen teilen. Die hier geteilten Erfahrungen beziehen sich vor allem auf 2019/2020. Auf Basis dieser Erfahrungen raten wir FLINTA*Personen davon ab, dort einzuziehen.
Die Hügelfeste bezeichnet sich selbst als „linkes Hausprojekt“, in dem so um die 6 Menschen wohnen. In vergangenen Mitbewohni-Gesuchen und Einzugsgesprächen wurde es gezielt als emanzipatorischer, anarchistischer, antikapitalistischer, alternativer Ort dargestellt, an dem ein Leben gemeinsam und solidarisch organisiert werden kann. Aber das war nicht der Fall und wir sehen es als unsere Aufgabe, das auch innerhalb der linken Szene Jenas transparent zu machen und die Verantwortung für Veränderung breit zu verteilen, denn unserer Erfahrung und Einschätzung nach liegt viel Wissen und Kritik über Zustände in der Hügelfeste in der Luft, öffentlich und konkret darüber gesprochen wird aber nicht. Das wollen wir ändern:
Das Haus „die Hügelfeste“ ist in Familienbesitz, wobei der Sohn der Vermieter*innen den einzigen Hauptmietvertrag des Hauses besitzt. Diese Verbindung wird meist als vermeintlicher Vorteil dargestellt. Darüber hinaus ist der Sohn die einzige Kommunikationsbrücke zu den Vermieter*innen. Das ist eine Machtposition, die von ihm bewusst aufrecht erhalten wird und die auch über die offiziell rechtliche Bedeutung hinaus Einfluss auf persönliche Gesprächsdynamiken hat und dabei Machtgefälle eröffnet, wobei nicht versucht wird/es keine bemerkbare Bereitschaft gibt, diese aufzulösen. Das Zusammenleben ist von Anfang an von diesen Hierarchien durchzogen. Es gab wenig Raum für gemeinschaftliche Aushandlungen über diese Situation, teilweise wurde es als gegeben hingenommen und nicht kritisch hinterfragt. Durch verschiedene Mittel und Mechanismen wurde auch konkret versucht, diese Machtposition zu sichern und aufrechtzuerhalten oder schlichtweg zu demonstrieren. Das zeigte sich zum Beispiel durch nicht-Teilnahme an wichtigen Plena, an der nicht-Einhaltung von gemeinsam getroffenen Absprachen, an undurchsichtigen Kommunikationswegen, wo Informationen, die alle betrafen, nicht in einem organisierten, kollektiven Rahmen, sondern in privaten Einzelgesprächen geteilt wurden. Trotz großem Widerstand der damaligen Bewohner*innen sollte das sogenannte „3-Monats Plenum“ aufrechterhalten werden. Die Funktion dieses „3-Monats Plenum“ ist, dass sich die „alten“ Bewohnis nach 3 Monaten zusammensetzen und entscheiden ob der neue Mensch „zum Hausprojekt passt“. Es soll offen gehalten werden, ein Veto gegen die Menschen zu setzen, auf die irgendwer persönlich keine Lust hat und zielt dabei eindeutig auf einen weiteren Machterhalt. Solidarische Vorschläge, wie zum Beispiel den Wunsch nach gemeinsamen Prozessen als ganze Gruppe, statt exklusiver Hinterzimmergespräche, wurden vehement abgelehnt. Individualistische Bedürfnisse und Vorlieben werden dadurch konsequent gleichberechtigten, kollektiven Lösungsvorschlägen vorgezogen.
Trotz anfänglicher Versprechen wurden Aussichten auf Selbstverwaltung (wie bspw. durch einen Pachtvertrag) und andere Möglichkeiten der solidarischen Organisierung des Zusammenlebens mit der Zeit zunichte gemacht. In die Organisierung und das Vorantreiben dieser solidarischen Konzepte floss viel Interesse und vor allem konkrete Verantwortungsübernahme der damaligen Bewohnerinnen ein. Beispielsweise wurde ein Gemeinschaftskonto eingerichtet, mit der Vereinbarung, dass dort alle regelmäßig (je nach Möglichkeit) einen variablen Geldbetrag einzahlen, von dem Lebensmittel und andere Gemeinschaftsressourcen gezahlt werden sollten. Dabei waren vor allem die cis männlichen Mitbewohner sehr unzuverlässig und haben wenig Interesse und Verantwortungsgefühl gezeigt, diese kollektive Organisierung von Reproduktionsarbeit aufrecht zu erhalten. Diese Passivität oder (nicht-)Teilnahme ist nicht ausschließlich durch unterschiedliche Lebensrealitäten zu erklären! Hierbei zeigt sich das strukturelle Grundproblem der selbstverständlichen Passivität bezüglich der Reproduktionsarbeit, das sich auch beim alltäglichen Abwaschen, beim Einkaufen, der nicht-)Teilnahme an Plena oder der Vor-/Nachbereitung von gemeinsamen Veranstaltungen gezeigt hat.
Der Aufbau eines solidarischen und gemeinschaftlichen Wohnens/Raumnutzung ist nicht möglich, da keine Sicherheit bezüglich langfristigem Zusammenleben gegeben wird. Es besteht ein stetig unsicheres und ungleiches Wohnverhältnis. Von einem gemeinschaftlichen und selbstbestimmtem Gestalten ist dieser Ort weit entfernt. Diese Muster, Hierarchien, Mechanismen und Verhaltensweisen haben natürlich Auswirkungen auf das soziale und emotionale Miteinander. Generell gab es im Zusammenleben eine ausgeprägte Kritik-Resistenz der cis männlichen Bewohner. Das Äußern von Kritik stieß auf fehlende Bereitschaft zur Auseinandersetzung, sodass die Gemeinschaft abhängig war von bewusstem Ausblenden/Ignorieren/genereller Sprachlosigkeit zu konkreten Konflikten. Patriarchales Verhalten im Wohnumfeld wurde fast ausschließlich von FLINTA* aus dem Haus und dem Umfeld aktiv kritisiert. Soziale Dynamiken waren stark geprägt von einer Passivität vieler cis Männer. Diese zeigte sich sowohl in ihrer non-Reakion auf Kritik, als auch in ihrer Haltung auf Plena. Darüberhinaus wurde wenig Nähe/Zugewandtheit, Wertschätzung und ein aktives Interesse am Leben der anderen Personen gezeigt.
Natürlich ist uns auch bewusst, dass es sich hierbei um konkrete Aufzählungen handelt, die nicht von allen im selben Ausmaß gelebt wurden, aber das kann kein Grund dafür sein diese Kritik nicht so direkt zu benennen. Natürlich gab es auch Prozesse, die von cis männlichen Bewohnern angestoßen wurden; wir wissen nicht, wie es um diese steht und ob sie zu einer ernsthaften Reflexion und Veränderung des eigenen Verhaltens geführt haben. Patriarchat ist facettenhaft und wir müssen dieses gemeinsam in jedem Handeln von allen von uns erkennen!
Nach all dem haben wir versucht, diese Kritik in verschiedenen Rahmen, Einzelgesprächen, Briefen etc. einzubringen. Allerdings führte dies nicht zu einem öffentlich sichtbar veränderten Verhalten und deswegen haben wir nun diesen Weg gewählt.
Das sind unsere Erfahrungen von ca. vor einem Jahr. Wir wissen nicht um die aktuelle Mitbewohni-Konstellation und eventuelle Auseinandersetzungen zu diesen Thematiken. Leider konnten wir auch keinen Kontakt zu den aktuell dort lebenden FLINTA* aufnehmen. Falls ihr das lest und an einem Austausch in FLINTA*-Kreis interessiert seid, schreibt uns gern an feministisch-wohnen-jetzt[at]riseup[.]net
Weitere konkrete Auseinandersetzung mit den cis männlichen Bewohnern ist für uns persönlich ausgeschlossen.
Wir formulieren diesen Text nicht als endgültig-abgrenzendes Statement, sondern verstehen ihn als offene Gesprächsgrundlage für alle, durch die die dringend benötigte intensive Auseinandersetzung mit patriarchalem Verhalten in Wohnkontexten angestoßen werden soll.
Wir wollen die überall lebenden FLINTA* bestärken, ihre Kritik an patriarchalem Verhalten in ihrem direkten Wohnumfeld zu erkennen, ernstzunehmen, sich organisiert darüber auszutauschen und vehementen Widerstand dagegen zu leisten. Wir müssen uns dabei gegenseitig unterstützen, uns solidarisch auf einander beziehen und gemeinsam Formen der Organisierung finden, die es uns ermöglichen gestärkt und gestützt für eine befreite und feministische Gesellschaft einzustehen.
Dabei wollen wir uns ganz konkret auf die Vorschläge zum Anfangen von Das schlechte Gewissen beziehen.
Und sprechen ein solidarisches Danke aus für all die feministische Arbeit in Jena, durch welche dieser Text jetzt so eine gute Einbettung findet!

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