Wir dokumentieren an dieser Stelle unseren Redebeitrag beim Gedenken am 22.07.2025 an die Opfer der rechtsterroristschen Anschläge in Oslo und Utøya 2011 und in München 2026 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „22.07. nicht vergessen“ in Jena.

„Erinnern heißt Kämpfen“ – so lautet eine Losung der selbstorganisierten Erinnerungskultur an rechtsterroristische Gewalt in Deutschland.
Damit gemeint ist der leider notwendige Kampf um Anerkennung und Interpretation, Gerechtigkeit und Konsequenzen.
Wir verstehen es auch als Hinausweisen über das bloße Gedenken: als Aufruf zum Kampf gegen die Verhältnisse, in denen es rechte Gewalt gibt. Und für eine Gesellschaft, in der Menschen ohne Angst leben können.
Und wir denken, in der Feststellung, dass Erinnern Kämpfen heißt, ist auch enthalten, dass Erinnern kämpfen gegen das Vergessen heißt.
Wie fragil unser Erinnerungsvermögen ist, dafür steht dieser Tag – der 22. Juli – Pate. Ein Tag, an dem 86 Menschen sterben mussten, weil sie umgebracht wurden von Rechtsterroristen.
Wieso ist dieses Datum, warum sind diese Anschläge – in Oslo und Utøya 2011 und im Münchener Olympiaeinkaufszentrum 2016 – so vergessen?
Kaum etwas nehmen wir noch wahr davon in der öffentlichen Erinnerungskultur und auch beim Griff an die eigene Nase stellten wir immer wieder erschrocken fest, wie unsere Erinnerung Lücken aufweist. Auch wir haben das Datum, die Anschläge, Details und Zusammenhänge wieder und immer wieder vergessen. So sehr, dass wir irgendwann angefangen haben, uns zu fragen, woran das liegt.

Bestimmt auch daran, dass die Erzählung vom vermeintlich psychisch kranken Einzeltäter und vom Amoklauf, die von der Presse und den Ermittlungsbehörden so gerne und bis heute bedient wird, erfolgreich ist.
Es musste erst das jahrelange Mahnen der Betroffenen-Familien in München geben, damit der Anschlag in München überhaupt als Terroranschlag benannt wird. – und das, nachdem am 22. Juli 2016 selbst halb München in Panik vor Terror verfiel. War doch im Jahr nach den islamistischen Anschlägen auf die Redaktion des Magazins Charlie Hebdo und den Club ‚Batalcan‘ in Paris 2015 ganz Europa in Angst vor Terror – Terror von außen, durch den sich die europäische Mehrheitsgesellschaft getroffen sah.
Nachdem die Opfer in München jedoch ausschließlich migrantische Jugendliche und Angehörige der Minderheit der Sinti und Roma waren, konnte die Tat scheinbar getrost vergessen und aus der Wahrnehmung verdrängt werden.
Und das, während parallel in München der NSU-Prozess stattfand, wo die rechtsterroristischen Taten behandelt wurden, bei denen 10 Menschen von Nazis aus dieser Stadt getötet wurden, während die deutsche Linke vor allem Ignoranz und ausbleibende Solidarisierung mit Betroffenen an den Tag legte.
Und auch nach München musste uns zugegebenermaßen erst das Mahnen der Betroffenen-Familien aufrütteln, nachdem sich diese Fehler, dieses Versagen, dieses Alleinlassen bereits wiederholt hatte.

Mag auch sein, dass die Taten des 22.07. irgendwie „untergehen“, in der zur Normalität gewordenen Präsenz rechter Gewalt.
Mag sein, dass die Anschläge zwischen den Taten des NSU, die für uns hier in Jena besonders präsent sein und bleiben müssen, und zwischen Halle 2019 und Hanau 2020 scheinbar „verschwinden“.

Vielleicht erschwert es die eindeutige Einordnung in unser Gedächtnis, dass der Täter von München selbst Mirgationshintergrund hatte.
Vielleicht ist Norwegen schon zu weit weg, um es in naher Erinnerung zu haben.
Und vielleicht, so kam uns der Gedanke, geht der 22.7. auch zu nahe – too close to home – um uns erinnern zu wollen.

Am 22.07.2011 starben 69 unserer Genoss*innen. Viele weitere überlebten nach traumatischen Erlebnissen der Flucht und des Versteckens vor einem auf sie Jagd machenden Fascho.
Viel zu viele, viel zu junge Genoss*innen, die einfach nur zusammen zelten fuhren, um gemeinsam von einer besseren Welt zu träumen.
Getroffen hat es diese 69, aber gemeint waren in diesem Fall auch wir.
– Jede einzelne, jeder einzelne von uns, die wir die Hoffnung auf gerechte Verhältnisse und ein gutes Leben für alle nicht sein lassen wollen, und die daher genau so unter das Feindbild des „Kulturmarxismus“ fallen (ob wir uns als Marxist*innen begreifen oder nicht. – Kulturmarxismus, das ist das, was unsere Großeltern und Urgroßeltern noch „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“ nannten – der antisemitische Glaube an eine Verschwörung, in der linke und liberale Kräfte das Abendland zu zerstören trachten.
– Eines der zentralen Feindbilder, die den Täter von Oslo und Utøya morden ließen. Das wissen wir, weil er es in seinem Manifest aufschrieb. Ein Manifest, das Rechte weltweit, wie auch der Täter in München, als Inspiration für ihre Verbrechen nutzen.

Diese Feststellung – dass wir mitgemeint waren, als es andere traf – diese Festestellung unserer eigenen Bedrohtheit und Angreifbarkeit macht natürlich Angst. Aber sie ist auch Verpflichtung zu Solidarität.
Und diese ist umso notwendiger, je bedrohter wir sind. Nur sie kann uns Stärke geben und uns vorm Vergessen und vergessen werden bewahren.
Und, das hoffen wir zumindest: das gemeinsame Erinnern und Gedenken, die gemeinsame Trauerarbeit kann auch dabei helfen, die Angst zu bändigen.
Ganz davon abgesehen, dass ausreichender Schutz nur dann zu erwarten ist, wenn wir ihn uns selbst organisieren. Auch dafür müssen wir das Verdrängen, das uns vergessen macht, beenden.

Uns ist sehr wohl bewusst, dass wir als mehrheitlich weiße und nicht jüdische Linke in Deutschland weit weniger vom Rechtsterrorismus bedroht sind, als viele andere Menschen – davon zeugen die Morde des NSU, die Anschläge in München, Halle und Hanau. Solidarität mit allen von Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus Betroffenen bleibt daher oberstes Gebot!

Wir glauben aber, dass Unterstützung und Solidarität nur davon profitieren können, wenn wir unsere eigene Positionierung sortieren, unsere eigenen Wunden versorgen und unsere eigenen Betroffenheiten bearbeiten, ohne dass dies Konkurrenz oder Relativierung bedeuten muss.
Statt uns in der Rolle der edlen Unterstützer*innen migrantischer Selbstorganisierung und Erinnerungskultur zu sehen, die viel zu oft auch nicht oder nur schlecht eingelöst wurde, sollten wir uns zunächst eingestehen, wie unfähig wir doch selbst dazu sind und wie viel wir als Linke noch lernen können von Überlebenden und Angehörigen der Opfer von Rechtsterrorismus und ihrem unfassbaren Kampf um Gerechtigkeit, Aufarbeitung und Erinnerung.
Denn: wie Erinnern Kämpfen heißt, so heißt Kämpfen auch Erinnern. Und das bedeutet: Kämpfen gegen das Vergessen.

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